Räum- und Streupflicht im Winter
6. Gilt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz?
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zu beachten. Eine einheitliche Rechtsprechung dazu gibt es hingegen nicht. So hat das OLG Schleswig (11 U 14/00) entschieden, dass bei Eisregen nicht die Pflicht besteht den ganzen Tag zu räumen und zu streuen. Ähnlich entschied, das OLG Karlsruhe (7 U 237/07) in einem Fall. Dort bildete sich nach der Räumung des Gehweges durch Tropfeis unterhalb einer Straßenlaterne eine Eisfläche auf die eine Passantin ausrutschte. Eine Verkehrssicherungspflichtverletzung konnte das OLG nicht erkennen. Das LG Hamburg (309 S 234/97) wiederum verlangte vom Vermieter bei gefrierenden Regen außergewöhnliche Anstrengungen zur Gefahrenbeseitigung zu unternehmen.
Der BGH führte zu diesem Thema in seiner Entscheidung vom 27.11.1984 (Az.: VI ZR 49/83) aus, dass gegebenenfalls auch mehrfach hintereinander gestreut werden müsse, wenn die Wirkung des Streugutes infolge außergewöhnlicher Witterungsverhältnisse, wie zum Beispiel anhaltender Niederschlag auf unterkühltem Boden, nur kurze Zeit anhalte. Allerdings müsse auch nicht fortlaufend gestreut werden. Der Streupflichtige müsse erst dann wieder streuen, wenn die Witterungsverhältnisse nicht so außergewöhnlich sind, dass wiederholtes Streuen sinn- oder zwecklos ist (Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.11.1984, Az. VI ZR 49/83).
Der Gehweg muss nicht in seiner gesamten Breite von Schnee oder Eis befreit werden. Es genügt, wenn ein schmaler Streifen von etwa 80 bis 120 cm frei gemacht wird, so dass 2 Personen gefahrlos aneinander vorbeigehen können (vgl. BGH, Urt. v. 09.10.2003, Az.: III ZR 8/03 ; Oberlandesgericht Bamberg, Urteil vom 27.05.1975, Az. 5 U 46/75).
7. Wer haftet bei einem Sturz?
Die Haftung richtet sich danach, wer die Verkehrssicherungspflicht innehatte. Anspruchsgegner können daher die zuständige Gemeinde, der Hauseigentümer oder der Mieter sein. Sie haften gegenüber fremdem Personen aus unerlaubter Handlung (§§ 823 ff. BGB). Stürzt ein Mieter besteht darüber hinaus eine Haftung des Pflichtigen aus Vertrag, da der Winterdienstvertrag zwischen Vermieter und Reinigungsfirma Schutzwirkungen für die im Haus wohnenden Mieter entfaltet (vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 22.01.2008, Az. VI ZR 126/07).
8. Kann die Haftung ausgeschlossen werden?
Ein Haftungsausschluss durch Aufstellen eines Warnschildes („Privatgrundstück“, „Betreten und Befahren auf eigene Gefahr“, „Betreten verboten“) ist nicht möglich. Die Verkehrssicherungspflicht bleibt weiter bestehen. Allerdings ist das Vorhandensein eines solchen Schildes im Rahmen des Mitverschuldens zu berücksichtigen (vgl. Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 20.07.2004, Az. 4 U 644/03 -116-).
9. Haftet meine Versicherung?
Eine private Haftpflichtversicherung schützt den Eigentümer und den Mieter vor eintretenden Schäden, die im Rahmen seiner Räum- und Streupflicht entstehen können.
10. Wer hilft mir bei Ärger?
Wenn Sie durch einen Sturz zu Schaden gekommen sind, dann können Sie sich z.B. an einen Anwalt für Versicherungsrecht wenden.
aktuelle Urteile zum Winterdienst, sowie der Räum- und Streupflicht
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